Die Biblio­thek als Mitt­le­rin zwi­schen Fach­leu­ten für Sprach­för­de­rung und Kitas

gekürz­te Fas­sung, in vol­lem Umfang erschie­nen in: BuB – Forum Biblio­thek und Infor­ma­ti­on 10/2019.
Autorin­nen: Katha­ri­na Schle­ef, Kat­rin See­wald, Dr. Moni­ka Vöge


BuB ist die am wei­tes­ten ver­brei­te­te, spar­ten­über­grei­fen­de Fach­zeit­schrift für den Bibliotheks‑ und Infor­ma­ti­ons­sek­tor im deutsch­sprachigen Raum. Sie umfasst Auf­sät­ze, Kom­men­ta­re, Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge, Inter­views, Berich­te und Nach­rich­ten aus dem The­men­spek­trum der Öffent­li­chen und wis­sen­schaft­li­chen Biblio­the­ken sowie der Bil­dungs- und Kulturpolitik
https://b‑u-b.de/

Die Aus­gangs­si­tua­ti­on

Es war ein­mal eine Stadt­bi­blio­thek, die einen Schwer­punkt ihrer zukünf­ti­gen Arbeit auf dem Gebiet der Sprach­för­de­rung schon bei den Kleins­ten sah, denn: Es ist schwie­rig, Lese­för­de­rung im enge­ren Sinn zu betrei­ben, wenn den Kin­dern im Ein­zugs­ge­biet zu Beginn der Schul­zeit die ein­fachs­ten Grund­la­gen von Gram­ma­tik und Voka­bu­lar fehlen.

Begrün­det wur­de die­ser Ansatz durch die sozio­gra­phi­sche Aus­gangs­la­ge im Ber­li­ner Bezirk Span­dau: Hier leben ca. 15.000 Kin­der im Alter von 0 bis 6 Jah­ren, von denen 23,3 % bei der Ein­schu­lungs­un­ter­su­chung 2012 ein För­der­be­darf attes­tiert wur­de. Vie­le Kin­der wer­den nach dem Sprach­stands­tests ein Jahr vor geplan­ter Ein­schu­lung mit Sprach­de­fi­zi­ten ver­pflich­tet, eine Kita zu besu­chen; die Zahl der Rück­stel­lun­gen nach den Ein­schu­lungs­un­ter­su­chun­gen steigt. In den letz­ten Jah­ren ver­zeich­net der Bezirk Span­dau einen wei­te­ren hohen Zuzug von Fami­li­en, die Trans­fer­leis­tun­gen bezie­hen. Damit steigt der Anteil der Kin­der, die in Armut und in bil­dungs­fer­nen Eltern­häu­sern auf­wach­sen, ekla­tant. So sind bei­spiels­wei­se im Orts­teil Fal­ken­ha­ge­ner Feld bis zu 60% der Kin­der von Kin­der­ar­mut betrof­fen. Die Kitas bemü­hen sich, dem The­ma Sprach­för­de­rung Raum zu geben, aber in Gesprä­chen der Biblio­thek mit Erzieher*innen wur­de deut­lich, dass Grund­la­gen­wis­sen und qua­li­fi­zier­te exter­ne Ange­bo­te, auch für das päd­ago­gi­sche Fach­per­so­nal, in den Kitas fehlen.

Die Idee

Weil Per­so­nal und Fach­kennt­nis­se in der Biblio­thek für die­sen Bereich nur unge­nü­gend vor­han­den waren, wur­de ein Koope­ra­ti­ons­pro­jekt mit Span­dau­er Kitas und geschul­ten Sprach­för­der­kräf­ten ins Leben geru­fen. Die Biblio­thek stell­te dafür bei der zustän­di­gen Senats­ver­wal­tung für Kul­tur in Ber­lin einen Pro­jekt­an­trag im Rah­men des För­der­pro­gramms „Biblio­the­ken im Stadt­teil“ (BIST), finan­ziert aus dem Euro­päi­schen Fonds für regio­na­le Ent­wick­lung (EFRE): “… und raus bist du: Sprach­för­de­rung im Tandem Biblio­thek und Kita“. 2016 bis 2019 wur­den Pro­jekt­mit­tel in Höhe von ins­ge­samt 163.000 Euro zur Ver­fü­gung gestellt, die glei­che Sum­me als Kofi­na­zie­rung stell­te die Stadt­bi­blio­thek Span­dau über­wie­gend zur Verfügung.

10 Span­dau­er Kitas waren schnell gefun­den, für das wis­sen­schaft­li­che Know-How konn­te das Sven Wal­ter Insti­tut (SWI) der gemein­nüt­zi­gen Gesell­schaft für berufs­bil­den­de Maß­nah­men mbH (GFBM) gewon­nen wer­den. Das SWI berät und unter­stützt Eltern sowie Erzie­her/-innen, Lehr­kräf­te und Aus­bil­der/-innen in Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen in allen Berei­chen der Sprach­för­de­rung. Auf Ver­an­stal­tun­gen, in Wei­ter­bil­dun­gen und Pro­jek­ten ver­mit­telt das SWI inno­va­ti­ve Wege der Sprach­för­de­rung bei Kin­dern, Jugend­li­chen und Erwach­se­nen. Neue Metho­den und Kon­zep­te zur Sprach­för­de­rung und Sprach­stands­er­fas­sung wer­den hier ent­wi­ckelt und maß­ge­schnei­der­te Fort­bil­dun­gen für Leh­re­rin­nen und Erzie­he­rin­nen ange­bo­ten, u.a. eine berufs­be­glei­ten­de senats­an­er­kann­te Fort­bil­dung zum/zur Facherzieher*in für Sprachförderung.

Die gemein­sa­me Aufgabe

Für das Sprach­för­der­pro­jekt galt es ein Pro­gramm zu ent­wi­ckeln, mit des­sen Hil­fe die alters­ent­spre­chen­de Sprach­kom­pe­tenz der Kin­der nach­weis­lich ver­bes­sert wer­den wür­de. Gleich­zei­tig soll­ten die sozia­len Kom­pe­ten­zen und die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit bei den Kin­dern gestärkt wer­den. Für die Ent­wick­lung eines der­ar­ti­gen Pro­gramms für Kin­der im Alter von 1–3 Jah­ren sowie 4–6 Jah­ren (vor der Ein­schu­lung) war das SWI zustän­dig. Gleich­zei­tig soll­ten die Erzie­her/-innen und auch die Eltern durch gemein­sa­me Fort­bil­dun­gen und the­ma­tisch pas­sen­de Eltern­aben­de von dem Pro­gramm pro­fi­tie­ren. Ziel war auch, dass das neu ent­wi­ckel­te Pro­gramm eva­lu­iert wer­den soll­te, um Ergeb­nis­se in der Fol­ge sinn­brin­gend in die Arbeit der Biblio­thek ein­flie­ßen zu lassen.

Die Rol­le der drei Part­ner Biblio­thek, SWI und Kitas

Das SWI brach­te die wis­sen­schaft­li­che (päd­ago­gi­sche und lin­gu­is­ti­sche) Exper­ti­se ein, die Kitas steu­er­ten die prak­ti­sche Fach­kom­pe­tenz bei und die Biblio­thek Span­dau sorg­te als ver­läss­li­cher, bestän­di­ger Part­ner der Kitas im Bezirk dafür, dass die betei­lig­ten Kitas mit den für das Pro­gramm benö­tig­ten Büchern und krea­ti­ven Spiel­ma­te­ria­li­en aus­ge­stat­tet wur­den. Außer­dem orga­ni­sier­te sie Fort­bil­dun­gen und Ver­an­stal­tun­gen, wie z. B. Lesefeste.

Das Kon­zept „…und raus bist du „ Sprach­för­de­rung im Tan­dem Biblio­thek und Kita 

Die Struk­tur des modu­lar auf­ge­bau­ten Pro­gramms fußt auf wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­er­geb­nis­sen (z.B. Deut­sches Jugend­in­sti­tut 2011), basiert auf drei Säu­len und bil­det das theo­re­ti­sche Rah­men­ge­rüst. Zur Durch­füh­rung wur­den für die bei­den Ziel­grup­pen (1–3jährige und 4 – 6jährige Kin­der) jeweils fünf Modu­le ent­wi­ckelt, in denen es um die sozi­al-kom­mu­ni­ka­ti­ve und die sprach­lich-kogni­ti­ve Ent­wick­lung, um Lau­te und Pro­so­die, um Wör­ter und ihre Bedeu­tung sowie Satz­bau und Wort­bil­dung geht. Die Grup­pen­stär­ke beträgt in den ein­zel­nen Grup­pen nicht mehr als 8 Kinder.

Die Eva­lua­ti­on

Für die Eva­lua­ti­on konn­ten wir Prof. Düs­sel­dorff von der Uni­ver­si­tät Duis­burg / Essen, Fach­be­reich Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, Schwer­punkt Eva­lua­ti­ons­for­schung gewin­nen. In regel­mä­ßi­gen Abstän­den besuch­te er fünf Kitas und mach­te sich so ein Bild vor Ort. Fra­ge­bö­gen, die sich an die Erzieher*innen rich­te­ten, brach­ten fol­gen­des Ergeb­nis: „Bezeich­nen­der­wei­se wird das Pro­jekt nicht nur aus der Sicht der Erzie­he­rin­nen, son­dern auch aus der Per­spek­ti­ve der Lei­tungs­ver­ant­wort­li­chen mehr­fach beson­ders posi­tiv her­vor­ge­ho­ben. Die­se Vor­tei­le wer­den mit Blick auf die Kin­der und ihre Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten aber auch als Vor­tei­le für die Ein­rich­tun­gen, ihre Pro­fes­sio­na­li­tät und Attrak­ti­vi­tät und wegen der „Ver­net­zung“ zwi­schen Biblio­thek, Kita und SWI iden­ti­fi­ziert und deut­lich her­vor­ge­ho­ben. […] Die inhalt­li­che Pas­sung, die pro­fes­sio­nel­le Beglei­tung und Durch­füh­rung sowie die (ver­mu­te­ten) Sprach­ent­wick­lungs­ef­fek­te legen eine Fort­füh­rung sowie –wenn mög­lich- Erwei­te­rung des Pro­jek­tes im Sin­ne einer Ver­ste­ti­gung als Regel­leis­tung mehr als nahe“. (Eva­lua­ti­ons­be­richt, 2018)

Die Her­aus­for­de­run­gen

Kein Pro­jekt in die­sem gro­ßen Stil ohne gewis­se Schwierigkeiten:

Der gro­ße, anfäng­li­che Enthu­si­as­mus muss­te den per­so­nel­len Eng­päs­sen im Kita-All­tag wei­chen. So wur­de es zum Ende des Pro­jek­tes immer schwie­ri­ger, die Kol­le­gin­nen für die Teil­nah­me an den ange­bo­te­nen Fort­bil­dun­gen oder den regel­mä­ßi­gen Tref­fen zu gewinnen.

Auch das Kom­mu­ni­zie­ren über­wie­gend per eMail erwies sich als Han­di­cap: einer­seits wegen der schlech­ten Aus­stat­tung in den Kitas mit PCs , aber auch auf­grund der oft­mals nicht vor­han­de­nen Affi­ni­tät zu demselben.

Für zwei der betei­lig­ten Kitas konn­ten wir die Erwar­tun­gen, die die­se an so ein Pro­jekt gestellt hat­ten, lei­der nicht erfül­len: Sie ver­lie­ßen das Pro­jekt bereits nach kur­zer Zeit, konn­ten aber schnell durch ande­re Inter­es­sen­ten ersetzt werden.

Das ehr­gei­zi­ge Ziel, die Eltern ins Boot zu holen und für das The­ma Sprach­er­werb, Mehr­spra­chig­keit und Sprach­bil­dung zu sen­si­bi­li­sie­ren, bleibt auf wei­ten Stre­cken ehrgeizig …

Der Pro­jekt­aus­blick

Sprach­bil­dung ist mitt­ler­wei­le als Teil der Lese­för­de­rung in Kin­der­bi­blio­the­ken eta­bliert. Eine wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Pro­jekt­kon­zep­ti­on und Durch­füh­rung in die­ser Grö­ßen­ord­nung ist aller­dings nur durch aus­ge­bil­de­te Sprach­för­der­kräf­te zu leisten.

Nach einer Anschub­fi­nan­zie­rung, z.B. durch EU – Pro­jekt­gel­der wäre eine Regel­fi­nan­zie­rung sinn­voll und wün­schens­wert. So könn­te eine päd­ago­gi­sche Fach­kraft das Biblio­theks­team adäquat ergän­zen und wei­ter­hin dafür sor­gen, dass Sprach­för­de­rung zum fes­ten Bestand­teil der biblio­the­ka­ri­schen Arbeit wird und bleibt.

Die Stadt­bi­blio­thek Span­dau hat zum Ende des Pro­jek­tes eine Ver­län­ge­rung bean­tragt und geneh­migt bekom­men: Für die nächs­ten drei Jah­re gibt es in Span­dau nun die „Sprach­pro­fis“. Zu den Zie­len des neu­en alten Pro­gramms gehö­ren jetzt die Ein­be­zie­hung digi­ta­ler Medi­en und die Kon­takt­auf­nah­me zur Wis­sen­schaft, um Theo­rie und Pra­xis enger zu verknüpfen.

Kontakt

Dr. Monika Vöge

T 030 755 144 075
voege@gfbm.de

Bildungszentrum Charlottenburg
Joachimsthaler Straße 17
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10.OG